Am 20.07. um 18:20 Uhr stellen sich Opferangehörige und ihre Freund*innen für eine Schweigeminute vor den Landtag von Baden-Württemberg, um auf die „Methode Einzelfall“ aufmerksam zu machen. Immer mehr Angehörige von Opfern von Polizeigewalt und von rassistischer Gewalt ermitteln in ihren Fällen selbst. Die wenigsten Fälle von Polizeigewalt gelangen vor Gericht, noch weniger Fälle führen zu einer Verurteilung. Selbstorganisierte Prozessbeobachter*innen halten immer wieder fest: Polizei-Zeug*innen wird mehr Glauben geschenkt, migrantisch gelesene Zeug*innen werden als unglaubwürdig dargestellt. Filmende Zeug*innen, die Zivilcourage zeigen, tauchen vor Gericht als aggressive Schaulustige auf. Strafverteidiger argumentieren in den überwiegenden Fällen von Polizeigewalt, dass Herzversagen oder Selbstmord zum Tod der Opfer geführt hätten. Diese Aussagen werden meist mit Privatgutachten gestützt. Juristischen und medizinischen Fachbegriffe dienen der Vertuschung rechtswidriger Handlungen.
Polizeigewalt und rassistische Gewalt sind keine Einzelfälle.
Familie von Ertekin Özkan, der während des Polizeieinsatzes am 23.12.2023 in Mannheim starb
„Weil unser Vater, unser Bruder, unser Sohn eine psychische Krise hatte, wurde er getötet. Er war arm und migrantisierter Deutscher. Er holte die Polizei und rief ihnen dann zu: ‚Erschießt mich!‘ So ist es dann geschehen. Wir standen daneben und hätten ihn beruhigen können. Jede andere Form von Hilfe wurde nicht in Betracht gezogen und durch den Polizeieinsatz behindert. Vier Schüsse. Bereits der erste Schuss wurde mit Kalkül tödlich ausgeführt. Das Ermittlungsverfahren gegen den Schützen wurde eingestellt. Wir widersprechen diesem Urteil und fordern Gerechtigkeit.“
Eltern von Hogır Alay, der verschwand und erhängt am 4.11.2023 in Kusel aufgefunden wurde
„Weil unser Sohn ein Asylbewerber war, wurde er getötet. Der Staat hat versagt. Mehrfach hatte sich unser Sohn an die BAMF gewendet und auch bei den Dolmetschern um Hilfe gebeten. Die Security Mitarbeiter in der Flüchtlingsunterkunft wendeten Gewalt an, schikanierten psychische und physisch. Eine Woche vor seinem Verschwinden sagte er, wenn mir etwas geschieht, sind die Schuldigen in der Unterkunft zu suchen. Sein Verschwinden interessierte niemanden. Die Polizei verweigerte die Vermisstenanzeige und ermittelte nach seinem Auffinden halbherzig bis gar nicht. Warum wurden die Beschwerden unseres Sohnes ignoriert? Warum fand man ihn erst nach über drei Wochen an einem Baum erhängt neben der Flüchtlingsunterkunft in einem verwesten Zustand sodass wir nicht mal unseren Sohn wiedererkannten? Wo bleibt der ausführliche Autopsiebericht? Wo sind die Videoaufnahmen der Unterkunft? Wo bleibt die Gerechtigkeit für Unseren Sohn Hogır Alay?“
Solidaritätskreis Justice4Mouhamed für Mouhamed Lamine Dramé, der während des Polizeieinsatzes am 8.8.2022 in Dortmund starb
„Weil er schwarz und in einer psychischen Ausnahmesituation war, wurde er getötet. Er war noch so jung. Er saß auf dem Boden einer Jugendhilfeeinrichtung, als er von Polizeibeamten angegriffen wurde. Kurz darauf trafen ihn quasi gleichzeitig Taser und Kugeln der Beamten. Vor Gericht stellen sie ihn nicht als schutzbedürftig dar, sondern als bewaffneten Angreifer. Zivile Zeug*innen, die von einem eskalierenden und gewaltvollen Verhalten der Polizei berichten, werden unglaubwürdig gemacht. Den Stimmen der Angehörigen wird kein Raum gegeben. Die Aufgabe, aufzuklären und Mouhamed würdevoll zu gedenken, liegt somit bei der Zivilgesellschaft.“
Antonia P., Schwester von Ante P., der während des Polizeieinsatzes am 2.5.2022 in Mannheim starb
„Weil mein Bruder psychisch krank war, wurde er getötet. Trotz Menschen, die Zivilcourage gezeigt hatten, konnten die handelnden Polizisten nicht aufgehalten werden. Sie haben einen Schutzbefohlenen angegriffen und ihn vor aller Augen getötet. Vor Gericht war das Verhalten von den Angeklagten, ihren Verteidigern, den privat beauftragten Sachverständigen der Angeklagten bis hin zum Richter diskriminierend gegenüber Menschen mit psychischen Diagnosen. Das Gutachten der Gerichtsmedizinerin hat die Polizisten als schuldig enttarnt. Es wird mit zweierlei Maß gemessen, wenn Polizisten vor Gericht stehen.“
Justine Seewald, Mutter von Sammy Baker, der während des Polizeieinsatzes am 13.8.2020 in Amsterdam starb
„Weil unser Sohn Sammy in einer psychischen Ausnahmesituation war, wurde er von einem völlig überforderten Amsterdamer Polizeiteam erschossen. Obwohl die Polizei wusste, dass Sammy medizinische Hilfe benötigte, weil wir ihn am Vorabend als vermisst gemeldet hatten, obwohl sie wussten, dass seine Mutter nur ca. 200 m entfernt war, wurde nichts unternommen, um zu deeskalieren und zu vermitteln. Die Richtlinien für die Polizei bezüglich Menschen mit Excited Delirium Syndrome (EDS) wurden ignoriert, genauso wie der eintreffende Sanitäter der Psycho-Ambulanz. Mit vier Schüssen von zwei Schützen brutal hingerichtet, sind wir nun im vierten Jahr des Kampfes auf zivil- und strafrechtlicher Ebene. Es verlangt uns psychisch und monetär alles ab, doch der niederländische Staatsapparat will mit allen Mitteln - wie Vertuschung und Zeitverzögerung -verhindern, dass die Verantwortlichen Konsequenzen erfahren.“
Saliou Diallo, Bruder von Oury Jalloh, der in einer Polizeizelle am 07.01.2005 in Dessau starb
„Weil mein Bruder, Oury Jalloh, schwarz war, wurde er von der Polizei in Dessau getötet. Wer wird morgen sterben? Unsere Eltern sind kurz nach ihm gestorben. Wir sind hier. Ich würde gern die Justiz und die Polizei fragen, welche Beweise sie jetzt noch haben wollen. Was wollen sie? Wir haben selbst ermittelt und alles vorgelegt. Sie haben uns so viele Dinge erzählt und wir haben ihnen die Wahrheit gezeigt. Was wollen sie jetzt noch? Wollen sie noch mehr Tote?“
Familie von Jürgen Rose, der nach einer Polizeikontrolle am 7.12.1997 in Dessau starb
„Weil mein Mann, unser Sohn, unser Vater Jürgen Rose wahrscheinlich von Polizeibeamten im Polizeirevier Dessau totgeprügelt wurde und die Staatsanwaltschaft in Dessau den Fall einfach eingestellt hat, haben wir jetzt Anzeige beim Generalbundesanwalt wegen Mordes gestellt. Die Kriminalpolizei Dessau sagt, sie wüssten, wer es war, aber sie könnten nichts machen. Die Akten wurden manipuliert. Wir wollen einfach nur Gerechtigkeit nach 27 Jahren. Das wäre gut.“